Zum 16. Juni 2025, dem achten Todestag Helmut Kohls:
Zum achten Todestag Helmut Kohls am 16.6.2025 erinnert die Helmut-Kohl-Stiftung an die zentrale Entscheidung ihres Namensgebers, mit der er am Beginn seiner Kanzlerschaft den Frieden und die Freiheit in Deutschland und Europa grundlegend absicherte sowie die deutsche Einheit im Jahr 1990 möglich machte: Dies war die Entscheidung im Herbst 1983, auf die fehlende Abrüstungsbereitschaft der damaligen Sowjetunion mit konsequenter Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses von 1979 zu reagieren, konkret hieß das, auf deutschem Boden US-Mittelstreckenraketen zu stationieren. Mit der Aufrüstung auf deutschem Boden sollten Abrüstungsfortschritte auf sowjetischer Seite erzwungen und schließlich auf beiden Seiten erreicht werden. Eine mutige Entscheidung und nur vermeintlich ein Widerspruch in sich. Die weitere Entwicklung hat ihre Richtigkeit bestätigt.
Wir erinnern uns mit Helmut Kohl selbst an die damals heftige Diskussion:
(1) In seiner ersten Regierungserklärung am 4.5.1983 nach den gewonnenen Neuwahlen am 6.3.1983 unterstrich Helmut Kohl, an seiner bisherigen Position festzuhalten:
„Wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West. [...] Die Atlantische Allianz sichert den Frieden in Europa, und sie ist ein wesentlicher Faktor der Stabilität für die ganze Welt. Kernstück der Allianz bleibt die fest verwurzelte Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“
„Alle reden vom Frieden, unsere Soldaten sichern ihn. Ihr Dienst ist Friedensdienst.“
„Niemand, der in politischer Verantwortung steht, kann guten Gewissens einseitige Abrüstungsmaßnahmen wollen, wenn dadurch die eigene Sicherheit in Gefahr gerät. Der Entwaffnete verliert die Fähigkeit zur Selbstverteidigung, er wird erpressbar. [...] Wer wehrlos ist, meine Damen und Herren, mit dem verhandelt niemand.“
(Quelle: Helmut Kohls Regierungserklärung vom 4.5.1983, S. 67 bis S. 71 *1)
(2) In seiner Regierungserklärung am 21.11.1983 sagte Helmut Kohl zum Auftakt der 2-tägigen Debatte und Abstimmung über die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses:
„Heute führen wir erneut eine große Debatte über die Grundsatzfrage, wie in unserem Land, wie in Westeuropa Frieden und Freiheit gesichert werden können.
Wer vom Frieden spricht, muss sich am Maßstab der Freiheit messen lassen. Freiheit ist für uns Bedingung des Friedens. Sie kann nicht sein Preis sein. Wer bereit ist, die Freiheit für den Frieden zu riskieren, wird beide verlieren. [...]
Die Sicherung des Friedens in Freiheit – dies bleibt die beherrschende Aufgabe unserer Zeit. [...] Wir alle sind für den Frieden. Worüber wir streiten, das ist der beste Weg, den Frieden zu erhalten.
Das Leitmotiv meines Handelns bleibt, wie ich es in der Regierungserklärung am 4. Mai dargelegt habe: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. [...]
Es geht um das Gleichgewicht der Kräfte und damit um die Grundlage des Friedens in Europa.
[...] Schließlich, meine Damen und Herren, geht es im Kern, im entscheidenden Kern um die Frage, ob wir, ob die Bundesrepublik Deutschland willens und fähig ist, sich mit ihren Verbündeten einem Vormachtanspruch der Sowjetunion entgegenzustellen oder nicht. [...] Es darf der Sowjetunion nicht gelingen, mit Hilfe ihrer gewaltigen Rüstungsanstrengungen, die durch kein erkennbares Verteidigungs- und Sicherheitsbedürfnis zu rechtfertigen sind, uns Westeuropäer einzuschüchtern, unsere politische Handlungsfreiheit einzuengen und uns von den Vereinigten Staaten zu trennen.
Nur wenn wir dies verhindern können, bleibt die Tür offen zu einer Friedensordnung in Europa, die auf Gerechtigkeit beruht und nicht auf Gewalt. Nur eine solche Friedensordnung kann den Frieden endgültig sichern. [...]
Der Friede im nuklearen Zeitalter ist aber nur so sicher wie die Gefahr des Untergangs für den, der ihn bricht. Deshalb wäre der einseitige Verzicht auf Abschreckung ein unkalkulierbares Risiko. Für solche Wagnisse ist der Friede in Freiheit ein zu kostbares Gut. [...]
Angesichts dieser Lage und nach dem Ergebnis des Parteitages muss die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegenüber der deutschen und der Weltöffentlichkeit folgende Fragen beantworten: Warum will sie offenbar die sowjetische Aufrüstung und die sich daraus ergebende Bedrohung nicht zur Kenntnis nehmen? Warum will sie dem Bündnis den notwendigen militärischen Schutz verweigern? Warum übernimmt sie wieder und wieder die sowjetische Argumentation, obwohl sie damit im Westen wie auch gegenüber der Mehrzahl ihrer sozialistischen Schwesterparteien isoliert ist? [...]
Zwischen Demokratie und Diktatur gibt es keinen Mittelweg. Wir stehen auf der Seite der Freiheit. [...] Ohne Freiheit kann der Friede nicht bestehen. Wo die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit missachtet, wo Menschenrechte verletzt werden, da ist immer auch der Friede in Gefahr. Jenseits der Freiheit gibt es keinen Frieden, der diesen Namen verdient. Freiheitssicherung ist immer auch Friedenspolitik. [...]
Die Geschichte lehrt: Wer schwach ist, ermutigt hegemoniale Ansprüche und fordert Bedrohung geradezu heraus. Er macht sich erpressbar und setzt seine Freiheit und damit in letzter Konsequenz auch den Frieden aufs Spiel.
Allein die Standfestigkeit der freien Völker kann totalitären Staaten ihre Grenzen zeigen.
Niemals dürfen wir zulassen, dass Friede und Freiheit gegeneinander ausgespielt werden.
Nur ein Volk, das in Frieden und Freiheit lebt, kann auch wirklich einen Beitrag für den Frieden in der Welt leisten. [...]
Waffen und militärische Stärke haben für uns keinerlei Faszinationskraft. Wir sind nicht raketensüchtig! Aber in einer friedlosen Welt müssen wir bereit sein, für die Sicherung unseres Friedens in Freiheit das Notwendige zu tun.“
(Quelle: Regierungserklärung Helmut Kohls; zur 2-tägigen Debatte in Gänze sowie den Anträgen mit Begründung ihrer Positionen der im Bundestag vertretenen Fraktionen *2)
(3) Im Parteivorstand der CDU unterstrich Helmut Kohl erneut ein Jahr später, am 10.12.1984:
„Wir haben stationiert, wir haben ein hohes Maß auch an Stehvermögen bewiesen, aber ich habe immer gesagt, wer stationiert, hat auch die moralische Pflicht, ja zu sagen zu dem Satz, »Frieden schaffen mit weniger Waffen« und das Menschenmögliche zu tun, um aufeinander zuzugehen. [...] Das kostet enorme Geduld. Das kostet ein erhebliches Maß an Zeit, aber es gibt eine Chance, wenn wir dies alles fertigbringen, wenn wir dies alles gemeinsam tun.“
(4) In seinen Memoiren schreibt Helmut Kohl im Rückblick auf die Entscheidung im Jahr 1983:
„Dass wir den Nato-Doppelbeschluss gegen den erbitterten Widerstand der Oppositionsparteien und weiter Teile der gesellschaftlichen Gruppen durchsetzten, halte ich bis heute für das wichtigste Verdienst der von mir geführten Regierungskoalition. Ohne den Nato-Doppelbeschluss wäre die Geschichte anders verlaufen. Er war eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Wiedervereinigung.“
„Der Friede in Europa in den vergangenen [...] Jahren war das Ergebnis der Verteidigungsbereitschaft und der Verteidigungsfähigkeit der Länder des freien Westens und des Gleichgewichts der Kräfte zwischen Ost und West. Ohne Nato-Doppelbeschluss hätte es die Genfer Abrüstungsverhandlungen überhaupt nicht gegeben, und ohne das Festhalten der Bündnispartner an diesem Beschluss hätte es nicht die ersten Angebote der Sowjetunion gegeben, ihre Überrüstung zu verringern.“
(S. 11 und S. 90 in: Helmut Kohl: Erinnerungen 1982-1990, Droemer-Verlag München, 2005)
„Die Entscheidung aller Entscheidungen auf dem Weg zur deutschen Einheit war der Nato-Doppelbeschluss [...] So überzeugt ich von der Richtigkeit der Entscheidung bis heute bin, so persönlich schwierig war sie damals. Es war eine sehr einsame Entscheidung. Das Bild von Hunderttausenden Demonstranten, die gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gingen, habe ich bis heute vor Augen. [...] Entgegen allen Befürchtungen seiner Gegner und Kritiker machte die mit dem Nato-Doppelbeschluss verbundene Standfestigkeit des Westens die Entspannungspolitik zwischen Ost und West erst möglich – und damit auch Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion.“
(S. 15f in: Helmut Kohl: Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung – Meine Erinnerungen, Droemer-Verlag München, 2014)
(5) Auch nach Ende des Kalten Krieges und Vollendung der deutschen Einheit hielt Helmut Kohl daran fest, dass der Westen verteidigungsfähig bleiben muss. Am 8.9.1994, vier Jahre nach der deutschen Einheit, sagte er anlässlich der Verabschiedung der Alliierten Truppen (aus den USA, Frankreich und Großbritannien) aus Berlin:
„Weltweit steht die Außenpolitik vor großen Herausforderungen. Angesichts fortdauernder oder neuer Krisen und Konflikte, auch in Europa, ist unser entschiedener Einsatz für Frieden und Freiheit immer wieder gefordert. [...] Bis heute hat sich die Hoffnung auf eine friedfertige Welt nicht erfüllt. Deshalb wollen wir Deutschen unsere volle Verantwortung bei der Aufrechterhaltung des Friedens an der Seite unserer Freunde und Partner entsprechend der Charta der Vereinten Nationen wahrnehmen. [...] Die Atlantische Allianz bleibt Eckpfeiler der Sicherheit in Europa. [...] In diesem Geiste wollen wir Deutsche gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden unserer Verantwortung für den Frieden in der Welt auch in Zukunft gerecht werden.“
(Quelle: Bulletin Nr. 83/S. 777, Bonn, den 14.9.1994)
(6) Am 3.9.1998, drei Wochen vor der Bundestagswahl am 27.9.1998, bei der Helmut Kohl nochmals als Kanzlerkandidat von CDU/CSU antrat, sagte er mit Blick auf seine politische Bilanz im Deutschen Bundestag an die Adresse der rot/grünen Opposition:
„Was haben Sie für einen Spott über uns und über mich ausgeschüttet, als ich sagte: Frieden schaffen mit weniger Waffen! Ich kann heute in Deutschland vermelden: Wir haben weniger Waffen auf unserem Territorium als in langer Zeit unserer Geschichte. Das ist ein Erfolg unserer Friedenspolitik.“
(Quelle: Rede Helmut Kohls am 3.9.1998 finden Sie unter: Zum Geburtstag 2021)
(7) Auf dem CDU-Parteitag am 7.11.1998 in Bonn, auf dem Helmut Kohl sich nach 25 Jahren aus dem Amt des Parteivorsitzenden verabschiedete, machte er deutlich:
„Die Geschichte der Unionsparteien ist vor allem auch eine Geschichte des Mutes, der Standfestigkeit und des Einstehens für unsere Überzeugungen. Ohne das unbeirrte Festhalten am richtigen Weg hätte Deutschland heute nicht die weltweit anerkannte hochgeachtete Stellung. [...]
Wir bekennen uns zur Zugehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur westlichen Wertegemeinschaft, das heißt zu unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Transatlantischen Allianz.
Wir bekennen uns zur NATO-Mitgliedschaft. Das heißt für uns immer auch: Wir bekennen uns zu einem substantiellen Beitrag unserer Bundeswehr zur Bewahrung von Frieden und Freiheit. Wir sagen ein klares Ja zur Armee unserer Söhne, zu unserer Bundeswehr. [...]
1982 ging bei vielen die Angst vor einer militärischen Konfrontation zwischen dem Warschauer Pakt und der Atlantischen Allianz um. Die Debatte um die Stationierung der Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden befand sich auf dem Höhepunkt. Wir haben damals den NATO-Doppelbeschluss gegen erbitterten Widerstand durchgesetzt und das westliche Bündnis vor einer schweren Krise bewahrt. [...]
Wir haben damals gesagt, Ziel unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist: »Frieden schaffen mit weniger Waffen.« – So sieht das Ergebnis heute aus, am Ende des Jahres 1998: Wir Deutsche sind von Freunden umgeben. Das haben wir in langen Jahrzehnten, ja, Jahrhunderten so nie erlebt. Wir Deutsche dürfen sagen, dass wir nach menschlichem Ermessen alle Chancen haben, auch im 21. Jahrhundert in Frieden und Freiheit leben zu können.“
(Quelle: Protokoll des CDU-Parteitags am 7.11.1998 in Bonn; S. 11 bis S. 21, Bericht Helmut Kohls *3)
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Worte Helmut Kohls, die einmal mehr in unruhiger, friedloser Zeit und vor dem Hintergrund der heute wieder aktuellen Debatte um den richtigen Weg zur Sicherung von Frieden und Freiheit nachdenklich und zugleich Mut machen.
Mit seiner Entscheidung und seinem Stehvermögen gegen erhebliche Widerstände hat Helmut Kohl vor Jahrzehnten deutlich gemacht, dass Politik die Möglichkeit und Verpflichtung zur Gestaltung ist und dass die Wehrfähigkeit eines Landes und einer politischen Gemeinschaft oder Allianz (wie der Nato und der EU) kein Selbstzweck, sondern natürliche und notwendige Bedingung der Selbstbehauptung ist. Und die Selbstbehauptung ist wiederum der einzige Weg, um sich für Frieden und Freiheit auch in der restlichen Welt überhaupt realistisch einsetzen zu können.
Helmut Kohl hat auch gezeigt: Die Wehrfähigkeit eines Landes ist zugleich von hohem ethischen und moralischen Wert. Sie ist Voraussetzung, um Frieden und Freiheit des eigenen Landes und seiner Bürger zu sichern sowie einen Beitrag zu Frieden und Freiheit in der Welt zu leisten.
Maike Kohl-Richter, zum 16. Juni 2025
Vorstand der Helmut-Kohl-Stiftung e.V.
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Quellenangaben:
*1: Regierungserklärung vom 4.5.1983 in Gänze
*2:
Zur RegErklärung Helmut Kohls und der Debatte am 21.11.1983:
1983-11-21_BT_Protokoll_1-Tag_Nato_DopBeschluss_mit_RegErklaerung_BK_Kohl_(PlPr_10-35).pdf
zur Debatte am 22.11.1983, dem zweiten Tag mit Ergebnis der namentlichen Abstimmung:
1983-11-22_BT_Protokoll_2-Tag_Nato_DopBeschluss_(PlPr_10-36).pdf
zum Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP:
19831118_Antrag_CDU+CSU_und_FDP_NatoDopBeschluss_Drs_10-620.pdf
zum Antrag der SPD-Fraktion:
19831120_Antrag_SPD_NatoDopBeschluss_Drs_10-621.pdf
zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN:
19831117_Antrag_Die_Gruenen_NatoDopBeschluss_Drs_10-617.pdf
*3: Protokoll des CDU-Parteitags am 7.11.1998 in Bonn